Erinnerung an der Straße

Vielerorts sind Unfallkreuze am Straßenrand zu sehen. Angehörige von Verkehrsopfern stellen sie auf. Ihr Anliegen: Trauerbewältigung und Prävention.

 

22.12.2017

Wer mit dem Auto an ihnen vorbeifährt, kann sie schnell übersehen. Für Angehörige und Freunde von Verkehrstoten spielen sie jedoch eine zentrale Rolle: Unfallkreuze am Straßenrand. Die kleinen Gedenksymbole helfen bei der Bewältigung der Trauer.

 

Gedenkkreuze geben den Hinterbliebenen Halt. Sie helfen, alleine oder mit anderen um die Verstorbenen zu trauern. Vor allem in den ersten drei bis vier Monaten nach einem Unfall würden Angehörige und Freunde eine hochemotionale Phase durchleben, erklärt Prof. Dr. Christine Aka von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: „Wut und depressive Zustände wechseln sich ab. Immer wieder werden in dieser Zeit frische Blumen oder Erinnerungsobjekte an den Unfallort gebracht.“ 

Etwas bleibt am Unfallort zurück

Die Ethnologin Aka hat sich für ihr 2007 erschienenes Buch „Unfallkreuze – Trauerorte am Straßenrand“ intensiv mit den Gedenksymbolen auseinandergesetzt. Dass Angehörige und Freunde die Kreuze genau dort aufstellen, wo ein tödlicher Unfall geschehen ist, spielt eine wichtige Rolle. „Bei vielen hat das etwas mit der Vorstellung zu tun, dass die Seele des Angehörigen an diesem Ort den Körper verlassen hat“, erläutert Aka. 

Die Hinterbliebenen empfinden hier oft eine größere Nähe zu den Verstorbenen als anderswo.

Der Ort des Geschehens, an dem kurz nach dem Unfall häufig deutliche Spuren zu sehen seien, werde zu einem Mittelpunkt der Trauer: „Die Hinterbliebenen empfinden hier oft eine größere Nähe zu den Verstorbenen als anderswo.“ Demgegenüber würden viele die Zeremonie einer Beerdigung auf dem Friedhof als eher unpersönlich wahrnehmen, berichtet Aka.

Freunde stellen sie häufiger auf

Nach Akas Erfahrung sind es seltener die Angehörigen des Verkehrstoten, die ein Unfallkreuz aufstellen. Meist sind es enge Freunde. Denn auf die Gestaltung auf dem Friedhof haben sie nur wenig Einfluss. „Gerade bei jungen Unfallopfern machen deren Freunde häufig die ersten direkten Erfahrungen mit Trauer“, erklärt die Expertin. 

Ist das Aufstellen von Gedenkkreuzen erlaubt?

Unfallkreuze am Straßenrand müssen in Deutschland genehmigt werden. Das geschieht in Absprache mit der für die Straße zuständigen Behörde. In der Regel werden die Gedenksymbole aus Pietätsgründen und aus Rücksicht gegenüber den Betroffenen genehmigt bzw. manches Mal sogar ohne Genehmigung geduldet. Voraussetzung ist: Die Gedenkstätten dürfen den Verkehr nicht behindern und Verkehrsteilnehmer nicht ablenken sowie keine Schilder verdecken oder die Sicht beeinträchtigen. 

Teils jahrelange Pflege

Wie gut ein Kreuz erhalten ist, lässt laut Aka Rückschlüsse auf den Verlauf des Trauerprozesses zu. Mit der Zeit finden Hinterbliebene nach und nach in den Alltag zurück – die Besuche am Unfallort werden seltener. Die meisten Gedenkkreuze fangen nach zwei bis drei Jahren an zu verfallen. Aka zufolge entfernen die zuständigen Behörden die Symbole erst dann, wenn sie feststellen, dass sie seit einiger Zeit nicht mehr gepflegt werden.

 

Es gibt jedoch auch andere Fälle. Manchmal, so die Wissenschaftlerin, kümmere sich die Familie des Verstorbenen deutlich länger um die Pflege und Reinigung: „Einige Kreuze bleiben auf diese Weise fünf oder sieben Jahre lang stehen, in Ausnahmefällen können es auch 15 oder sogar 20 Jahre werden.“ 

An die Kreuze haben sich Autofahrer gewöhnt

Auch wenn die kleinen Gedenksymbole der Trauerbewältigung und Erinnerung dienen, nehmen viele Verkehrsteilnehmer sie als Mahnung wahr. Auch das ist vielen Angehörigen und Freunden ein wichtiges Anliegen. Sie möchten dazu beitragen, dass anderen Menschen dieses immense Leid eines tödlichen Verkehrsunfalls erspart wird. Dass Auto- und Lkw-Fahrer ihr Verhalten aufgrund der Kreuze jedoch langfristig anpassen, bezweifelt Ethnologin Aka. Der Grund: Es trete ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Wie viele Unfallkreuze bundesweit an Straßen und Autobahnen stehen, ist nicht bekannt. 

Foto: dpa