Punkt. Punkt. Komma. Strich.
Christian und Knut Eckert zeichneten Beinah-Unfälle der “Runter vom Gas"-Community. Wie Pop-Art-Bilder entstehen? Ein Blick über die Schulter.
24.11.2020
Christian und Knut Eckert illustrierten die neuen Autobahnplakate 2020. Auch die Beinah-Unfälle der “Runter vom Gas"-Community zeichneten die Brüder. Verkehrsteilnehmende konnten dafür in einem Wettbewerb ihre Schockmomente einreichen. 78 Beiträge qualifizierten sich, drei von ihnen wurden von den Künstlern illustriert.
Der Griff zur digitalen Feder
Knut Eckert steht vom weißen Ledersofa auf und geht wenige Schritte bis zu seinem Schreibtisch. Neben ihm sitzt sein Zwillingsbruder Christian (49). Vor beiden türmen sich die Bildschirme. Kurz besprechen sie sich zu neuen Aufträgen, die gerade per Mail reingekommen sind. Dann greift Knut wieder zum Zeichengerät – allerdings zum Stift für das Grafiktablett. Mit nur wenigen Strichen haucht Christian der weißen Fläche Leben ein. Markante dicke Striche formen ein Gesicht im Comic-Stil. Dünne und dicke Linien wechseln sich ab, schaffen Schattierungen – die Skizze ist für den Profi nur eine schnelle Übung.
Mit Blick auf die Isar: Christian und Knut Eckert leben und arbeiten seit ungefähr zwanzig Jahren in München.
Die Brüder sind ein gutes Team. Seit über 20 Jahren arbeiten sie zusammen. Beide teilen die Leidenschaft fürs Zeichnen und Illustrieren. Sie bezeichnen sich selber als „künstlerische Handwerker“. Warum Handwerker? Komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen, darin bestehe ihre Aufgabe.
Mittlerweile greifen die beiden Illustratoren aber immer weniger zu Stift und Papier, denn sie zeichnen überwiegend digital. Christian kümmert sich um die zeichnerische Umsetzung, Knut ist für die technische Gestaltung wie zum Beispiel für die Kolorierung verantwortlich.
Normalerweise haben die beiden viele Aufträge aus der Werbung. Kaum ein Anzeigeblock im TV vergeht, in dem die Zwillinge nicht Zeichnungen oder ganze Spots aus ihrer Feder wiedererkennen. Heute illustrieren sie Beinah-Unfälle der „Runter vom Gas“-Community. Der wichtige Unterschied zur Werbung? Die Schockmomente sind Verkehrsteilnehmenden wirklich passiert.
Zwillinge und Zeichner: Christian (l.) und Knut Eckert.
Die Bilder im Kopf
Christian sitzt am Computer und öffnet eine digitale Grobskizze, die er bereits einen Tag vorher zeichnete. Dieses „Grundgerüst“ hilft ihm, die komplexe Begebenheit in verschiedene Schritte aufzuteilen. Das Storyboard zeigt sechs abstrakte Motive, die die Situationen getrennt darstellen. Anhand der schwarz-weißen Skizze entscheidet er sich für ein sogenanntes Key Visual. Es zeigt die entscheidendste Szene des Beinah-Unfalls, der Familie Klumpp passierte.
Vor circa sechs Jahren fuhr Matthias Klumpp mit seiner Familie zum Adventsessen zu einem Berghof im Badischen. Im Familien-Van sind seine Frau Monika und ihre fünf Kinder Caroline, Adrian, Isabell, Lennart und Ben. Gemeinsam mit den Großeltern, die im Geländewagen davor saßen, starteten sie den weihnachtlichen Ausflug. Auf einem einspurigen Bergsträßchen am Hang wurde die Situation dann brenzlig, denn Matthias Klumpp erkannte zu spät, dass die Spurrillen auf der anhaltenden Steigung des Berges festgefahren waren. Unter dem lockeren Neuschnee war es eisig. Trotz geringer Geschwindigkeit griffen die Winterreifen der Familie Klumpp nicht mehr und das Fahrzeug begann unaufhaltsam rückwärts zu rollen.
Bremsen und Gegensteuern zwecklos. Der Wagen wurde immer schneller, rollte ungefähr 75 Meter rückwärts die Straße entlang. Die Kinder fingen an zu schreien. „Ich habe versucht, den Wagen auf dem Weg zu halten. Mehr konnte ich nicht machen“, erzählt Matthias Klumpp.
Der Verkehrserzieher aus dem Nordschwarzwald hat schon einige Fahrsicherheitstrainings hinter sich. Er ergänzt: „In dem Moment arbeitet man in Zeitlupe. Das Zeitempfinden ist völlig anders. Man denkt, das dauert ewig. In Wirklichkeit sind es nur Sekunden.“
Mal analog..
…aber meist digital: Die Zwillinge zeichnen überwiegend am Computer.
Der Van wurde unaufhaltsam schneller. Rechts der Hang, links der Abgrund. Matthias Klumpp steuerte den Wagen hangseitig auf einen Bauernhof zu. Der Gedanke war: Wenn ein Unfall sich nicht mehr vermeiden lässt, ist es besser in eine Hauswand zu krachen als den Hang hinunterzustürzen. Zum Glück entscheidet er sich richtig. Denn in der Hofeinfahrt war der Untergrund wieder griffig, der Wagen bremste. Familie Klumpp kam kurz vor der Hauswand zum stehen. "Das war unser Glück. Ich dachte schon, wir landen dort in der Küche!"
Der Schock saß tief. Einige Sekunden ging erst mal nichts mehr. „Irgendwann traute sich dann einer etwas zu sagen.“ Als sich alle wieder entspannt hatten, zog Matthias Klumpp die Schneeketten auf und die Familie fuhr zum Adventsessen.
Doch der Beinah-Unfall hat Spuren hinterlassen. Noch Jahre später fühlten sich die Kinder im Wagen unwohl, wenn die Familie ein Gefälle runterfuhr: „Sie sagten dann: Bitte pass‘ auf.“ Innerhalb von Sekunden kann Unvorhergesehenes passieren. Das hat der Familienvater für sich gelernt.
Auch Christian rutschte mit seinem Wagen über eine eisige Straße.
Unberechenbare Natur
Illustrator Christian kommt diese Situation bekannt vor. Auch er ist vor über zwanzig Jahren mit dem Auto auf Eis gerutscht – allerdings vorwärts. Im österreichischen Zürs am Arlberg hat er kurzzeitig die Kontrolle über seinen Wagen verloren. „Ich habe die Situation damals falsch eingeschätzt und auf das Fahrverhalten meines Freundes, der im vorderen Wagen saß, vertraut. Daraus lernt man.“ Christian konnte sich nach ungefähr 30 Metern eisiger Rutschpartie in einen Schneehügel retten.
Was er für sich gelernt hat? „Ich glaube das beste Sicherheitsfeature, das man im Auto haben kann, ist Zeit. Einfach mal zehn Minuten eher starten und schon kommt man entspannter an.“
Christian nimmt Bilder der Familie Klumpp als Vorlage für die Skizze.
Christian kümmert sich um die Kolorierung der Illustrationen.
Weniger grün, mehr blau. Die Brüder diskutieren über die Farbkomposition.
Schmaler Grat
Dass die Brüder Geschichten und vor allem Gesichter echter Menschen illustrieren, kommt selten vor. „Das ist schon außergewöhnlich. Vor allem wenn Kinder involviert sind, berührt das sehr“. Er denkt ein zweites Mal nach, bevor er den Stift wieder auf dem Grafiktablett ansetzt. „Zum Glück ist da noch mal alles gut gegangen“, ergänzt sein Bruder Knut.
Christian verfeinert das Hauptmotiv weiter. Er baut verschiedene Ebenen auf, setzt dickere Linien und bearbeitet Details. Die Gesichter der Kinder skizziert er weiter digital. Was sind Auffälligkeiten? „Wir fragen uns dabei immer wieder: Was wollen wir zeigen? Die Grafiken sollen aufmerksam machen. Gleichzeitig sollen sie nicht zu dramatisch aussehen“, erklärt der Münchner.
Immer wieder öffnet er parallel Fotos der Familie Klumpp. Markantes wie die Haarfarben der Kinder stechen hervor und so setzt er sie in die Illustration. Ab und zu schaut er auch in den Spiegel, der neben ihm steht. Mal verzieht er sein Gesicht, vergleicht es mit der Skizze und passt die Gesichtszüge an.
Comics à la Roy Lichtenstein
Steht die Zeichnung, bearbeitet Knut sie im nächsten Schritt weiter. Er koloriert sie, setzt also knallige Farben ein, die den Comic-Effekt verdeutlichen. Für die Rücklichter des Vans wählt er ein leuchtendes Rot, die Töchter bekommen einen sonnengelben Pulli. Das hebt besonders die Kontraste hervor.
Christian kommt dazu und schaut über die Schulter seines Bruders: „Das ist zu hell. Das zu dunkel. Mach‘ mal weniger grün, mehr blau.“ Beide diskutieren über die Farbe des Vans. Immer wieder orientieren sie sich dazu an der Vorlage von Matthias Klumpp.
„Wenn wir durch unsere Plakate nur ein Leben retten, dann ist das schon toll.“
Stark vergrößert zeigen sich die vielen kleinen und vor allem bunten Punkte, die die Zeichnungen ausmachen. Die Kinder der Klumpps gestaltet im Pop-Art-Stil à la Roy Lichtenstein. Knut arbeitet weiter an der Struktur der Grafik. Verschiedene Papier-Texturen geben dem Bild mehr Tiefe. So erscheint der schneebedeckte Berg im Hintergrund realistischer. Abschließend kümmert er sich noch um das Color Grading, eine Farbkorrektur, bei der die Farben der Bilder vereinheitlicht werden. Sind die Zwillinge zufrieden, steht die fertige Illustration meist innerhalb eines Tages.
Künstlerische Handwerker
Die Geschwister gestalteten auch die neuen Autobahnplakate der Verkehrssicherheitskampagne „Runter vom Gas“. Für die Münchner ein besonderes Projekt: „Wenn wir durch unsere Plakate nur ein Leben retten, dann ist das schon toll“, erzählt Knut Eckert stolz. „Wenn man auf der Autobahn unterwegs ist, denkt man bei manchen Motiven schon länger nach“, ergänzt sein Bruder. Genauso wie an diesem Tag über den Schockmoment der Familie Klumpp.
Alle illustrierten Beinah-Unfälle und ihre Geschichten dahinter, finden Sie hier.
Bilder: Lucas Wahl