Wir waren sehr beeindruckt, welche großen Kreise Mortens Tod gezogen hat.
Til S. | Bruder
Wenn ein Mensch bei einem Verkehrsunfall verunglückt, bleiben viele Betroffene zurück. Der Tod von Morten S. war nicht nur ein Schock für seinen Bruder Til und dessen Familie. Hunderte Gäste nahmen an der Trauerfeier teil.
Im Jahr 2016 starben in Deutschland 3.214 Personen bei Verkehrsunfällen. Bei jedem Todesfall zerbricht mehr als ein Leben. 113 Menschen sind im Durchschnitt betroffen, wenn ein Mensch bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt: elf Familienangehörige, vier enge Freunde, 56 Freunde und Bekannte sowie 42 Einsatzkräfte wie Rettungssanitäter oder Polizisten.
„Die Dimension der Trauer war für uns absolut überwältigend“, sagt Til S. Ein kleines Lächeln huscht dabei über das Gesicht des 42-Jährigen. Rund 400 Gäste kamen zur Kirche, um Abschied zu nehmen. Familie, Großfamilie, Freunde und Kollegen. Til S. musste die Beerdigung von der ursprünglich geplanten Kapelle zu einer großen Kirche verlegen. Außerdem erstellte er eine Internetseite für den verstorbenen Bruder. Die Anteilnahme und die vielen Kommentare im Netz waren überwältigend. „Hätte Morten das gesehen, er hätte wohl gefragt, was denn hier los sei und warum alle so traurig sind“, sagt Til S. und ein Schmunzeln ist zu erkennen.
Til S., seine Frau und ihre drei Kinder haben viel über den Unfall und den Verlust gesprochen. Für Mortens Nichte Ronja war es anfangs schwer zu begreifen, dass ihr Onkel, mit dem sie gerne im Garten tobte, nicht mehr kommen wird. Morten war oft lange unterwegs und stand dann auf einmal mit bester Laune wieder in der Tür. „Wenn ich jetzt Motorräder sehe, dann muss ich an meinen Onkel denken. Dass er nicht mehr da ist, macht mich traurig“, berichtet die 12-Jährige. Til S. hat seinen Motorroller seither nicht mehr bestiegen, das Moped steht abgedeckt auf der Einfahrt des Einfamilienhauses am Berliner Stadtrand.
Über Mortens Fahrstil haben sie öfter gesprochen. Der 38-Jährige wiegelte aber immer ab und sagte dann, es sei sein Leben und sein eigenes Risiko. Seitdem er weg ist, wissen die Hinterbliebenen jedoch, dass es nie nur um das eigene Leben geht, sagt Til S. nachdenklich.
Er erzählt, dass er nach dem Unfall in das leere Haus seines Bruders gegangen ist, um ein letztes Mal mit ihm zu reden. Und um ihn zu fragen, warum er an diesem Abend noch einmal auf das Motorrad steigen musste. Morten war viel zu schnell unterwegs, das geht eindeutig aus der Polizeiakte hervor. Als der Vorderreifen dann den Bordstein touchierte, hatte er keine Chance. Die Spuren zeigen, dass er noch rund 25 Meter versuchte, die Kontrolle zurückzuerlangen. Dann platzte der Reifen und Morten prallte mit dem Kopf voran gegen einen Baum. Das Motorrad rutschte noch 60 Meter weiter über den Asphalt.
Von der Gerichtsmedizin hat die Familie S. den Helm bekommen, den Morten bei dem Unfall trug. Die Kraft, die darauf gewirkt haben muss, ist gewaltig. Til S. spielt mit dem Gedanken, den Helm der Rettungsstelle eines Krankenhauses zu vermachen. Als Warnung für andere und als Hinweis, runter vom Gas zu gehen.
Auch wenn die Gründe, warum Morten in jener Nacht noch einmal auf sein Zweirad stieg, unklar sind, weiß Til S., dass „der Unfall hätte vermieden werden können, wenn Morten nicht mehr aufs Motorrad gestiegen wäre, sondern sein Adrenalin anders abgebaut hätte“.
Rund jeder sechste Verkehrstote verunglückt auf einem Kraftrad. Im Jahr 2016 starben mehr als 530 Fahrer von Krafträdern mit amtlichen Kennzeichen (Motorräder/-roller usw.) bei Straßenverkehrsunfällen.
Quelle: Destatis 2017