Rollen in die Unabhängigkeit
In der Regel können Zehn- bis 15-Jährige mit einem Fahrrad schon ganz gut umgehen. Doch bevor sie alleine im Verkehr unterwegs sind, sollten Eltern diese wichtigen Tipps beachten.
19.12.2018
Bei Kindern und Jugendlichen zwischen dem zehnten und 15. Lebensjahr steht alles im Zeichen der Pubertät. Sie erleben körperliche und mentale Veränderungen. Sie entdecken neue Interessen. Und der Wunsch nach Unabhängigkeit wird größer. Mit Blick auf den Straßenverkehr bedeutet das vor allem: Sie wollen Wege allein zurücklegen und streben nach mehr Autonomie – insbesondere auf dem Fahrrad.
Allein mit dem Fahrrad fahren: Den Grundstein dafür haben Kinder und Jugendliche bei der Radfahrausbildung im dritten oder vierten Schuljahr gelegt. Mittlerweile verstehen sie Verkehrsregeln, erkennen Verkehrssituationen und können Geschwindigkeiten und Entfernungen weitestgehend einschätzen. Eltern müssen jedoch bedenken: Zehn- bis 15-Jährige gehen häufig unnötige Risiken ein. Sie sind überzeugt, jede Herausforderung bewältigen zu können. Außerdem wollen sie andere beeindrucken. Hinzukommt, dass sie das Anwenden der Regeln bislang in geschützten Bereichen trainiert haben – etwa auf Übungsplätzen und Gehwegen. Viele tun sich deshalb schwer, Regeln im Verkehr anzuwenden und komplexe Situationen richtig zu deuten.
Jugendliche sind gefährdeter als kleine Kinder
Während Grundschüler selten mit dem Fahrrad zur Schule fahren, setzen ältere Kinder und Jugendliche stärker darauf. Sie beginnen, das Fahrrad als Verkehrsmittel zu nutzen – vor allem, wenn sie von der Grundschule auf eine weiterführende Schule wechseln. Viele fahren in dieser Zeit zum ersten Mal überhaupt mit dem Fahrrad zur Schule und legen zudem in der Regel längere Wege zurück. Die Kehrseite der neuerworbenen Freiheit: Ein deutlicher Anstieg der Unfallzahlen. Angaben des Statistischen Bundesamtes belegen: Fast 7.400 Radfahrer im Alter von zehn bis 14 Jahren wurden im Jahr 2017 verletzt oder getötet. Bei Radfahrern unter zehn Jahren waren es 2.500 Personen.
Diagramm: Entwicklung der Anzahl der verunglückten Radfahrer bis 15 Jahre im Jahr 2017.
Um Mädchen und Jungen zu schützen, tun Eltern gut daran, den Leistungsstand und das Verhalten ihrer Kinder nach der Radfahrausbildung zu prüfen – und zwar unbedingt vor der ersten Alleinfahrt. Das Ziel: Nicht mehr nachdenken müssen, was zu tun ist, intuitiv handeln und Dinge wie den Schulterblick oder das Kurvenfahren mit Leichtigkeit beherrschen. Wie Mütter und Väter das bei ihren Kindern erreichen? Indem Eltern die zukünftigen Wege mit ihrer Tochter oder ihrem Sohn gemeinsam auf dem Fahrrad abfahren und üben – allen voran den Schulweg. Erkundigen Sie sich vorab an der Schule, ob es einen Radschulwegplan gibt. Dieser beruht auf Unfallauswertungen der Polizei und zeigt, welche Routen die sichersten sind.
Gemeinsam fahren macht Schule
Legen Sie die Route gemeinsam mit Ihrem Kind fest. Dadurch machen sich Mädchen und Jungen frühzeitig mit dem Weg vertraut. Bei der gemeinsamen Erkundungsfahrt achten Sie dann auf folgende Aspekte: Gewährleisten Ampeln und Mittelstreifen ein sicheres Überqueren? Entdecken Sie mögliche Gefahrenpunkte wie Kreisverkehre, viel befahrene Ein- und Ausfahrten, schlecht beschaffene Radwege oder Kreuzungen und Einmündungen, an denen Kinder die Vorfahrt gewähren müssen? Falls ja, suchen Sie gegebenenfalls nach alternativen Strecken. Gibt es keine, führen Sie sich vor Augen, welches Verhalten notwendig ist, um Situationen wie diese gefahrlos zu meistern.
Befahren Sie den Schulweg mit ihrem Kind zur Stoßzeit. Am besten morgens. Denn das ist die Zeit, in der Ihr Kind später alleine fährt. Lassen Sie Tochter oder Sohn vorfahren und beobachten Sie, ob Ihr Kind die gelernten Regeln anwendet: Hält es genügend Abstand zu parkenden Fahrzeugen? Beherrscht es die Vorfahrtregeln und hält beispielsweise an einem Stopp-Schild oder gewährt von rechts kommenden Fahrzeugen und Radfahrern bei einer Rechts-vor-Links-Situation die Vorfahrt? Erläutern Sie, dass es im Straßenverkehr wichtiger ist, Rücksicht zu nehmen, als Recht zu haben. Sensibilisieren Sie Ihr Kind, dass es auf das eigene Recht verzichtet, wenn es die Situation erfordert.
Komplexe Situationen vereinfachen
Bitten Sie Ihr Kind bei der Erkundungsfahrt, das eigene Verhalten zu kommentieren: Welche Handlungen sind geboten? Was ist zu tun? Lassen Sie Ihr Kind beispielsweise sagen, dass es den rechten Arm heben muss, wenn es rechts abbiegen möchte. Korrigieren Sie bei Bedarf. Bewahren Sie dabei stets Ruhe und bleiben Sie geduldig. Üben Sie solange, bis Ihr Kind die Regeln sicher anwendet. Versuchen Sie außerdem, komplexe Situationen zu vereinfachen. Ein Beispiel ist das Linksabbiegen an einer Kreuzung mit Vorfahrt von rechts. Denn das erfordert viel Erfahrung: Radfahrer müssen unter anderem den linken Arm heben, auf den Gegenverkehr achten und gleichzeitig von rechts kommende Fahrzeuge im Blick haben. Schlagen Sie deshalb das vereinfachte Linksabbiegen vor: Statt sofort abzubiegen zunächst geradeaus fahren und dann auf dem gegenüberliegenden Bordstein die Richtung ändern. Dann geradeaus fahren und den Weg fortsetzen.
Versichern Sie sich ebenfalls, dass Mädchen und Jungen andere Verkehrsteilnehmer wahrnehmen und Fehler bemerken – etwa Autofahrer, die plötzlich die Tür öffnen. Oder Pkw-Fahrer, die rechtswidrig auf einem Radweg parken. Falls Sie bei den Erkundungsfahrten spüren, dass Ihr Kind noch unsicher ist, begleiten Sie es auf dem Schulweg, bis es sicher ist. Sobald Sie Vertrauen gefasst haben, lassen Sie Ihr Kind allein fahren. Fragen Sie hin und wieder, ob es Probleme auf dem Schulweg gibt. Gegebenenfalls begleiten Sie Ihr Kind erneut. So sehen Sie, ob sich Fehler eingeschlichen haben. Ziehen Sie unter Umständen auch in Betracht, dass Ihr Kind zunächst öffentliche Verkehrsmittel nutzt.
Auf die Gefahren von Handynutzung hinweisen
Kinder und Jugendliche zwischen dem zehnten und 15. Lebensjahr wollen erreichbar sein. Doch auf dem Fahrrad – das sollten Sie klar ansprechen – hat das Handy Sendepause. Wie gefährlich Handynutzung sowie andere Formen der Ablenkung im Straßenverkehr sind, zeigen Berechnungen des Allianz Zentrums für Technik: Demnach geht jeder zehnte Verkehrstote in Deutschland mittlerweile auf Ablenkung zurück. Werden Radfahrer mit einem Handy in der Hand während Fahrt erwischt, droht ein Bußgeld von 55 Euro. Ebenfalls gefährlich kann der Einfluss von Freunden sein: Manche schlagen etwa Wettfahrten vor. Machen Sie Ihre Kinder darauf aufmerksam, dass bei Aktionen wie diesen das Unfallrisiko deutlich steigt.
Den Kopf in Schale werfen
Vergessen Sie außerdem nicht, Ihr Kind von der Nutzung eines Fahrradhelmes zu überzeugen. Auch wenn Mädchen und Jungen in der Pubertät stärker Wert auf ihr Äußeres legen: Es führt kein Weg am Kopfschutz vorbei. Damit Tochter oder Sohn das Modell annimmt und trägt, lassen Sie den Helm vom Nachwuchs aussuchen. Er ist gesetzlich zwar nicht vorgeschrieben, senkt das Risiko eines tödlichen Unfalls jedoch deutlich. Achten Sie beim Kauf auf die Norm EN 1078 (CE). Die Angabe, die sich häufig in der Innenseite des Helms befindet, erfüllt nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die Sicherheitsstandards und bietet ein Mindestmaß an Schutz. Wenn Sie Ihrem Kind den Kopfschutz nahelegen, ist es umso glaubwürdiger, wenn Sie selbst einen Helm tragen. Und: Achten Sie darauf, dass das Fahrrad vorschriftsgemäß ausgestattet ist und etwa über die vorgeschriebene Beleuchtung verfügt. Sofern schlechte Witterungsverhältnisse wie Starkregen, Schnee oder Glatteis herrschen, überzeugen Sie Ihr Kind, das Fahrrad grundsätzlich stehen zu lassen. Äußere Bedingungen wie diese erhöhen das Unfallrisiko.
Kinder und Jugendliche im Straßenverkehr unterstützen
Andere Verkehrsteilnehmer sollten jungen Radfahrern den Einstieg in den Verkehrsalltag so leicht wie möglich machen. Wie das am besten gelingt? Vor allem durch Rücksicht und Aufmerksamkeit. Radfahrer zwischen zehn bis 15 Jahren agieren möglicherweise unvorhergesehen. Rechnen Sie stets mit Fehlern oder abrupten Aktionen: etwa ein Kind, das plötzlich die Fahrbahn kreuzt oder ein Jugendlicher, der Schlangenlinien fährt. Verzichten Sie im Zweifel auf Ihr eigenes Recht – damit alle sicher ankommen.
Bilder: pressedienst-fahrrad
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