Gigantische Logistik

Lang, breit und schwer: Die Durchführung eines Schwertransports ist eine logistische Meisterleistung. Mitfahrt bei einem Giganten.

 

06.12.2017

Sie sind groß, tonnenschwer und immens wichtig für die Wirtschaft: Rund 350.000 Schwertransporte bewegen sich jedes Jahr durch Deutschland. Weil sie wegen ihrer Größe und ihres Gewichts nur bestimmte Routen nutzen können und den übrigen Verkehr möglichst kaum behindern sollen, müssen sie akribisch geplant und durchgeführt werden. Eine Mitfahrt bei einem Giganten.

Es ist kurz vor Mitternacht, als Holger Behm auf dem Fahrersitz seiner Zugmaschine Platz nimmt und den Kaffeebecher an die Lippen setzt. Das Funkgerät über ihm knistert leise, dann meldet sich eine Stimme: „Vorne ist alles frei!“ Sofort folgt ein weiterer Funkspruch: „Links und rechts sieht auch alles gut aus. Von mir aus kann es losgehen!“ Behm zieht das Mikrofon zu sich heran und drückt die Sprechtaste: „Alles klar, dann ziehe ich jetzt an." Er stellt den Becher beiseite, wirft einen prüfenden Blick in den Außenspiegel, legt den Gang ein und hebt behutsam den Fuß von der Kupplung. Mit einem sanften Ruck setzen sich hinter ihm rund 70 Tonnen Ladung in Bewegung.

„Ich muss ihnen blind vertrauen können.“

Auf der Ladefläche liegen Teile eines Airbus A350, genauer Flügeloberschalen aus High-Tech-Kunststoff. Die Fracht bringt das Team um Holger Behm vom Airbus-Werk Stade zum Elb-Hafen Bützfleth. Für die etwa zehn Kilometer benötigt die Kolonne auf der dunklen Landstraße eine knappe Stunde. Holger Behms 42-Meter-Gespann ist fast dreimal so lang wie ein regulärer Sattelzug. Mit rund sechs Metern Breite blockiert der Schwertransport zwei Fahrspuren. Blickt Behm in den Außenspiegel, kann er das Heck in der Dunkelheit nicht mehr sehen. Deshalb seien seine Begleiter, mit denen er ständig per Funk kommuniziert, für ihn enorm wichtig, sagt er: „Ich muss ihnen blind vertrauen können.“

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Start in Stade: Der Transport setzt sich in Bewegung.

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Etwas mehr als 10 Kilometer liegen vor dem Logistik-Team.

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Mit einem Begleitfahrzeug im Rücken werden rund 70 Tonnen Ladung über die Straßen befördert.

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Per Fernbedienung lässt sich die Lenkung der hinteren Achsen steuern.

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Der Mann am Steuer: Holger Behm.

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Jeder Meter ist für das Logistik-Team Schwerstarbeit.

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Ein Blick in den Rückspiegel lässt erahnen, wie groß die Fracht ist.

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Roberto Dernedde greift im Begleitfahrzeug ein, wenn es eng wird.

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Ankunft im Elb-Hafen Bützfleth: Die Fracht hat ihr Ziel sicher erreicht.

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Die letzten Handgriffe – dann ist die Arbeit von Holger Behm getan.

Holger Behm ist Berufskraftfahrer bei Universal Transport, einem Logistikdienstleister, der sich auf sogenannte Großraum- und Schwertransporte (GST) spezialisiert hat. Logistikprofis wie das Paderborner Unternehmen, das pro Nacht rund 300 Aufträge in ganz Europa durchführt, sind für Wirtschaft und Industrie unverzichtbar. Ob Komponenten für Flugzeuge oder Maschinen, Bauteile für Windkraftanlagen oder gigantische Gasturbinen für den Export – regelmäßig bewegen die Spezialisten Güter über öffentliche Straßen, die laut Straßenverkehrsordnung (StVO) eigentlich zu groß und zu schwer wären. Ein Fahrzeug darf in Deutschland max. 2,55 Meter breit und vier Meter hoch sein. Eine Kombination mit Anhängern darf 18,75 Meter Länge nicht überschreiten. Ebenfalls darf das Gewicht maximal 40 Tonnen betragen. Überschreitet ein Transport diese Werte, ist eine behördliche Ausnahmegenehmigung erforderlich.

Breites Kreuz: Der Gigant beansprucht zwei Fahrstreifen.

Nur nachts erlaubt

Der Bundesverband Güterkraftverkehr geht davon aus, dass die überdimensionierten Lastzüge einen Anteil von bis zu fünf Prozent am deutschen Güterverkehr haben. Demnach sind bundesweit jedes Jahr bis zu 350.000 Großraum- und Schwertransporte unterwegs. Damit sie den Verkehr möglichst wenig behindern und das Unfallrisiko so niedrig wie möglich bleibt, dürfen diese in Deutschland nur in verkehrsarmen Zeiten montags bis freitags zwischen 22 und 6 Uhr auf die Straße – begleitet von umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen. Teil davon sind auch die Begleitfahrzeuge, die mit gelb blinkenden Warnleuchten die Schwertransporte begleiten. Genauso wie in dieser Nacht.

Ein Schwertransport ist Teamarbeit

Mehrmals kommt die Kolonne auf der Strecke von Stade nach Bützfleth zum Stehen, beispielsweise vor besonders engen Kurven. An der Spitze warnt Hilfspolizist Karsten Seifert im Begleitfahrzeug entgegenkommende Verkehrsteilnehmer und sperrt bei Bedarf kurzfristig Kreuzungen und Seitenstraßen.

Wenn „Pinguine“ stören

Auf Seifert folgt Roberto Dernedde. Immer wieder muss er Behms Lastzug den Weg freimachen, indem er an Verkehrsinseln Straßenschilder aus ihren Halterungen hebt oder am Fahrbahnrand „Pinguine“ umlegt. So nennt er die schwarz-weißen Leitpfosten scherzhaft.

Direkt hinter dem Schwertransport fährt Dennis Rohde. Das Wechselverkehrszeichen auf dem Dach seines Fahrzeugs informiert die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer mit Lichtsignalen über Überholverbote oder Gefahrensituationen. Außerdem kontrolliert Rohde stets das Heck des vor ihm fahrenden Fahrzeugs. Mithilfe einer kleinen Fernsteuerung übernimmt er an kritischen Punkten sogar die Lenkung der hinteren Achsen. „An einigen Stellen fahren wir den Schwerlastzug also zu zweit“, erklärt Rohde mit Stolz. Dann richtet er die von Roberto Dernedde umgelegten Verkehrszeichen für den nachfolgenden Verkehr wieder auf.

Die kürzeste Route ist selten die beste

Für alle Schwertransporte gilt: Ohne Vorbereitung kein Transport. Teils mehrere Monate bevor die riesigen Gespanne losrollen, legen die Projektplaner eine auf den jeweiligen Auftrag zugeschnittene Route fest. Dabei profitieren sie von ihrer langen Erfahrung. „Wenn man den Job einige Jahre gemacht hat, weiß man irgendwann, welche Straßen für welche Transporte nicht geeignet sind", erklärt Maik Heese, bei Universal Transport für den technischen Außendienst zuständig. Dementsprechend gilt eine Faustformel: Schwertransporte erreichen ihr Ziel nur selten auf dem kürzesten Weg.

Holger Behm bewegt rund 70 Tonnen Fracht von Stade zum Elb-Hafen Bützfleth.

Genehmigungen sind ein kompliziertes Puzzle

Auf die Streckenplanung folgt das behördliche Genehmigungsverfahren. Zunächst benötigt der Schwerlastzug eine technische Ausnahmegenehmigung, im Anschluss eine straßenbezogene Erlaubnis für die geplante Strecke. Sämtliche behördliche Stellen, die für Teilabschnitte zuständig sind, müssen dafür ihr Einverständnis geben – ein wahres Genehmigungspuzzle, das mit der Anzahl der durchfahrenen Bundesländer, Kreise und Gemeinden wächst. Die Koordination zwischen den betroffenen Kommunen, Straßenbaubehörden, Polizeistellen und anderen Ämtern übernimmt federführend die für das Transportunternehmen zuständige Verkehrsbehörde.

Überholverbot? Es kommt darauf an.

Ob man einen Schwertransporter überholen darf, hängt vom sogenannten Wechselverkehrszeichen (WVZ) auf dem Dach des am Ende der Kolonne fahrenden Begleitfahrzeugs ab. Zeigt es lediglich ein Dreieck mit Ausrufezeichen, bedeutet das: Es handelt sich um eine sogenannte Gefahrenstelle. Pkw-Fahrer dürfen überholen, sollten aber aufmerksam und bremsbereit sein. Signalisiert das WVZ ein absolutes Überholverbot (Verkehrszeichen Nummer 276, roter Kreis mit einem roten und einem schwarzen Pkw in der Mitte), müssen Kraftfahrzeuge aller Art hinter dem Schwertransporter zurückbleiben. Zeigt das WVZ das Verkehrszeichen 277 (roter Kreis mit einem roten Lkw und einem schwarzen Pkw in der Mitte), haben alle nachfolgenden Fahrzeuge Überholverbot, die mehr als 3,5 Tonnen wiegen. Wer die Vorgaben des WVZ ignoriert, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss mindestens mit einem Bußgeld rechnen.

Keine Schutzmaßnahmen – keine Genehmigung

Ohne Warn- und Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer, darunter die Begleitung durch Polizei oder Hilfspolizei, lehnen die Behörden GST-Anträge sofort ab. Schließlich steht die Sicherheit an erster Stelle.

Die größte Gefahr kommt von vorn

Auf Landstraßen, so die Erfahrung der Logistik-Experten, geht die größte Gefahr von entgegenkommenden Autofahrern aus, die die Warnsignale der vorderen Begleitfahrzeuge ignorieren. Sie fahren häufig bis zum Schwertransporter heran, sehen dann, dass sie nicht vorbeikommen, und müssen wenden oder zurücksetzen.

Auf Autobahnen gibt es Situationen wie diese nicht. Dafür versuchen ungeduldige Autofahrer immer wieder, sich von hinten an den Schwerlastzügen vorbei zu mogeln – trotz Überbreite des Transports und temporärem Überholverbot. „Einige rasen über Rast- oder Parkplätze, andere drängeln sich zwischen Lastzug und Leitplanke“, berichtet Projektmanager Maik Heese. Im schlimmsten Fall kommt es zu schweren Unfällen. „Wir fahren fast ausschließlich bei Dunkelheit“, sagt Heese und fügt hinzu: „Wenn die Sicht durch schlechtes Wetter zusätzlich eingeschränkt ist, übersieht man leicht vorstehende Teile am Transport.“ Obwohl die meisten Schwertransporte ohne Komplikationen verlaufen, kann Heese auch von einigen schweren Unfällen berichten – meist mit sehr einseitigem Ausgang. Eine Kollision mit den riesigen Lastzügen endet für Pkws und ihre Fahrer meist verheerend.

Schwerstarbeit liegt hinter ihnen: Holger Behm (li.) und Dennis Rohde am Zielort.

Die Flügeloberschalen für den Airbus sind in dieser Nacht ohne Zwischenfall an ihren vorläufigen Bestimmungsort gelangt. Nur durch eine enge Links-Rechts-Kurve muss das Team um Holger Behm den Lastzug bei der Ankunft am Hafen in Bützfleth noch manövrieren. Ein hoch über der Straße verlaufendes Förderband schränkt Platz und Sicht zusätzlich ein. Ein letztes Mal in dieser Nacht bedeutet das volle Konzentration und regen Funkverkehr. Als der Motor der Zugmaschine schließlich verstummt, fällt spürbar die Anspannung von den Männern ab. Auch wenn sie nach über fünf Jahren als Team viel Routine haben – jeder Auftrag stellt sie vor neue Herausforderungen.