13.11.2018
Am Ende der theoretischen Führerscheinprüfung erwartet eine 22-jährige Anwärterin kein Glückwunsch – sondern die Polizei. Die Frau wollte den Führerschein mit unerlaubten Mitteln ergattern. Etwa 1.600 Betrugsfälle dieser Art gibt es jedes Jahr in Deutschland. Experten der Prüforganisationen und Fahrlehrer beobachten derartige Manipulationsversuche mit Sorge – und erwägen härtere Strafen.
Eine junge Frau aus Sundern im Sauerland versteht kaum Deutsch. Trotzdem meldet sich die 22-Jährige, die aus dem Kosovo stammt, für die theoretische Führerscheinprüfung in deutscher Sprache an. Das Ergebnis: nur ein Fehlerpunkt. Das gute Resultat überrascht den TÜV, der die Prüfung abhielt, sowie den Fahrlehrer der 22-Jährigen. Später stellen Beamte bei einer Durchsuchung fest: Die junge Frau trägt eine Minikamera bei sich, die durch das Knopfloch ihrer Bluse auf den Bildschirm des Computers gerichtet war. Durch einen Sender im Ohr flüsterte ihr ein Helfer die richtigen Antworten ein.
Später beurteilt die Polizei die technische Ausstattung „so gut und professionell“, dass die Vorrichtung während der Prüfung nicht auffallen konnte. Und der Stöpsel im Ohr der Prüfkandidatin steckte so tief, dass ein Facharzt ihn später entfernen musste.
Kein Kavaliersdelikt
Betrugsversuche dieser Art bezeichnet Kurt Bartels, zweiter Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF), als „Riesenärgernis“. Weder der Fahrlehrerverband noch die Prüforganisationen haben Zweifel, dass den Betrugsversuchen organisierte Strukturen zugrunde liegen.
„Das ist nicht der große Bruder, der dem kleinen helfen will“, sagt Arne Böhne, Geschäftsfeldkoordinator Führerschein bei TÜV Rheinland in Köln. Schließlich brauche man die technische Ausrüstung und das Wissen für die Prüfung. Wer beides hat, wird das gewinnbringend nutzen wollen. Bei einer Durchfallquote von 30 Prozent beim ersten Versuch und 35 Prozent bei weiteren finden die „Einflüsterer“ durchaus Führerschein-Anwärter, die sich für 1.000 bis 1.500 Euro durch die Prüfung schummeln wollen.
Experte geht von Dunkelziffer aus
1,6 Millionen Theorieprüfungen legen Anwärter jährlich ab. Wie häufig dabei betrogen wird? TÜV-Führerscheinexperte Böhne geht von etwa 1.600 Manipulationsfällen aus. „Aber es gibt eine Dunkelziffer“, sagt er. Kurt Bartels vom Fahrlehrerverband sieht „Faulheit“ als überwiegendes Motiv. Doch auch Sprachbarrieren veranlassen Prüflinge zu betrügen. Dabei können Anwärter die Prüfung in zwölf Sprachen ablegen.
Die Theorieprüfung ist die erste Hürde auf dem Weg zum Führerschein. 30 Fragen muss der Prüfling nach dem Multiple-Choice-Verfahren am Bildschirm beantworten. Geschummelt wird, seit es Prüfungen gibt. Doch die Qualität der Tricksereien habe sich in jüngster Zeit verändert, sagt Böhne. Das belegt der Fall der 22-Jährigen, die nicht mit Spickzettel, sondern mit moderner Technik den Prüfungsraum betritt. Klar ist: Wer erwischt wird, ist durchgefallen. Außerdem darf die Prüfung nach einem Täuschungsversuch laut Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) erst nach mindestens sechs Wochen wiederholt werden. Der TÜV Rheinland plädiert dafür, dass Trickserei grundsätzlich zur Eignungsuntersuchung, bekannt als Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU), führt.
„Wer sich die Theorieprüfung ergaunern will, versucht von vornherein, elementare Regeln zu umgehen.“
Führerscheinexperte Böhne erklärt: „Wer sich die Theorieprüfung ergaunern will, versucht von vornherein, elementare Regeln zum Erwerb der Fahrerlaubnis zu umgehen. Das heißt: Er will von vornherein die Regeln gar nicht beachten.“ Von so jemandem sei auch nicht zu erwarten, dass er sich im Straßenverkehr als rücksichtsvoller Fahrer erweist. Etwa, wenn eine Seniorin über die Straße gehen möchte oder ein Kind am Fahrbahnrand mit dem Rad fährt. Damit sei die charakterliche Eignung in Frage zu stellen, so Böhne. Hinzu kommt, dass sich ein Betrüger auch gar nicht mit den Regeln im Straßenverkehr auseinandergesetzt hat und sie einfach nicht kennt.
Das Finanzamt schaltet sich ein
Eine MPU anzuordnen, obliegt den Führerscheinstellen, also den jeweiligen Kreisverwaltungsbehörden. Als erstes Bundesland habe Nordrhein-Westfalen nun die Fahrerlaubnisbehörden per Erlass ermächtigt, eine Eignungsuntersuchung nach einer Theorie-Schummelei anzuordnen, so Böhne. Ein sinnvoller erster Schritt. Auch das Finanzamt darf dagegen vorgehen, denn das „Gewerbe“ der Drahtzieher, die viel Geld damit einnehmen, ist weder angemeldet, noch wird das Einkommen versteuert. „Darum erstatten wir fast immer Strafanzeige“, sagt Arne Böhne.
„Huhu, habt ihr vielleicht Tipps oder wisst ihr, wie man bei der Theorieprüfung schummeln kann?“
Geahndet wird auch eine weitere Möglichkeit, sich den theoretischen Teil der Fahrprüfung zu erschleichen: Man macht die Prüfung nicht selbst, sondern schickt einen „Stellvertreter“ mit einem falschen Ausweis. Dieser Ausweis ist ein Dokument, „das man für kleines Geld auf irgendeinem Basar oder Markt im Ausland kaufen kann“, erklärt Böhne. Bei dieser sogenannten „Stellvertreterprüfung“ wird die Staatsanwaltschaft mindestens wegen Missbrauchs von Ausweispapieren, also wegen einer möglichen Straftat, tätig.
Betrüger entlarven sich im Netz
Dass viele Menschen erwägen, sich den Führerschein zu ermogeln, zeigt ein Blick in soziale Netzwerke. Dort heißt es etwa: „Huhu, habt ihr vielleicht Tipps oder wisst ihr, wie man bei der Theorieprüfung schummeln kann?“ Offensiv sucht eine junge Frau auf einer Internetplattform Unterstützung jeglicher Art und klagt: „Das sind ja 1.000.000 Fragen.“ Von den Usern im Netz erntet sie dafür Spott: „Wie machst du das im Straßenverkehr – auch schummeln?“; „… wäre echt dumm“. Und sie erhält einen guten Rat: „Lerne doch einfach, dann hast du auch keinen Grund, irgendwas zurechtschummeln zu müssen.“
Bilder: dpa