„Ich hab‘s eilig, ich zahl alles“
Die Sitten auf Deutschlands Straßen werden rauer – auch auf Radwegen. In Hamburg versucht die Fahrradpolizeistaffel diesen Trend zu stoppen.
06.09.2019
„Halt Stopp, bitte anhalten.“ Diesen Satz wiederholen Jens Cissek und seine Kollegin Sabrina Friedrich von der Hamburger Fahrradpolizei an diesem Morgen immer wieder. Gerade rollt erneut ein Radfahrer auf sie zu, der eine Kreuzung im Stadtteil Altona bei Rotlicht überfahren hat. Die Kollegen von Cissek und Friedrich, die direkt an der Ampel stehen, haben das Vergehen genau beobachtet und per Funk übermittelt. Immer wieder geben sie Radfahrer durch, die das Rotlicht ignorieren – in etwa 45 Minuten mehr als fünf Mal.
Mit Blick auf die Ampel kann ein Team der Fahrradpolizei genau erkennen, wenn Radler über Rot rollen.
Per Funk bekommen Jens Cissek und Sabrina Friedrich angekündigt, welcher Radfahrer gerade gegen die Regeln verstoßen hat.
Über Rot gefahren: Jens Cissek hält einen Radfahrer an, der eigentlich an der Ampel hätte warten müssen.
Per Smartphone-App erheben die Polizisten gleich die Daten des Radfahrers. Den Bußgeldbescheid bekommt er per Post.
Auch für Lastenfahrräder gilt die StVO. Der Rotlichtverstoß kostet 60 Euro plus Verwaltungsgebühr und einem Punkt im FAER.
Für die Ertappten bedeutet das: 60 Euro Bußgeld, knapp 28 Euro Verwaltungsgebühr und ein Punkt im Flensburger Fahreignungsregister (FAER). Denn der Rotlichtverstoß ist keine Lappalie. Auch wenn ihn viele der Radfahrer dafür halten. Es sei doch gerade erst Rot geworden antworten einige, kurz nachdem sie gestoppt wurden. Sie hätten es eilig. Diese und andere Erklärungen kennen Polizei-Oberkommissar Jens Cissek und Polizei-Hauptmeisterin Sabrina Friedrich in - und auswendig. Täglich sind sie auf Hamburgs Straßen unterwegs. Seit 2004 ist die Fahrradpolizeistaffel eine feste Institution in der Hansestadt. Bereits acht Jahre vorher war sie als Testprojekt ins Leben gerufen worden, weil sich die Unfallzahlen bei Radfahrern häuften.
Von 6 bis 21 Uhr unterwegs
Bis heute ist das Senken der Unfallzahlen das Hauptanliegen der Fahrradpolizeistaffel. Vor allem weil der Radverkehr perspektivisch im Sinne der grünen Mobilität wachsen soll. Deswegen schwärmen zehn Polizisten von Montag bis Freitag zwischen 6 und 21 Uhr in drei Schichten von einer Wache in Altona aus, um ganz Hamburg sicherer für Radfahrer zu machen. Oft sind die Einsatzkräfte zu viert unterwegs. An Unfallschwerpunkten teilen sie sich wie an diesem Morgen in zwei Gruppen auf. Zwei Polizisten beobachten die heranfahrenden Radfahrer, zwei Kollegen halten jene an, die mit Rotlichtverstößen und Co. nicht nur gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen haben, sondern sich auch selbst und andere in Gefahr gebracht haben. Nur sehen das manche ertappte Radfahrer nicht so.
Fünf Minuten nach Beginn der Kontrolle hält Jens Cissek die erste Radfahrerin an und erklärt ihr, dass sie bei Rot die Kreuzung querte. Fast im Stakkato redet sie los: „Ich hab‘s eilig. Ich habe einen Arzttermin. Ich zahl alles. Ich weiß, was ich zu tun habe.“ Jens Cissek behält indes die Ruhe: „Sie müssen sich gar nicht äußern, aber sie können Ihren Verstoß auch zugeben.“ Nur wenige Sekunden vergehen, dann hat die Radfahrerin den Rotlichtverstoß anerkannt, ihren Personalausweis für die Bußgelderfassung gezeigt und sich schon wieder aufs Rad geschwungen. „Das eben war fast ein Klassiker. Eigentlich wissen fast alle Ertappten, was sie falsch gemacht haben“, sagt Jens Cissek.
Die Bilanz der Hamburger Fahrradstaffel 2018
● 1203 Bußgelder über 60 Euro
● 4191 Verwarngeldverstöße
● 449 Mängelmeldungen
Dann gleich der nächste Rotlichtfahrer. „Ich fahre jeden Tag insgesamt 50 Kilometer zur Arbeit hin und zurück. In solch einem Fall, wenn die Ampel gerade auf Rot gesprungen ist, fahre ich durch. Sonst schaffe ich es nicht“, argumentiert der Mann. Er könne das einschätzen: „Ich bin 60 Jahre alt und fahre seit 50 Jahren in Hamburg mit dem Fahrrad.“ Jens Cissek lässt diese Argumentation natürlich nicht gelten: „Viele kennen ihre Strecke in und auswendig, wissen wann der Querverkehr einsetzt und nehmen sich deswegen das Recht heraus mal eine Rotlichtphase mitzunehmen. Umso gefährlicher wird es aber, wenn die Ampelschaltungen umgestellt werden.“
Erfolgserlebnis auf der falschen Fahrbahnseite
Die Radfahrer für solche Gefahren zu sensibilisieren, ist nicht immer einfach. „Das ist manchmal, als würde man gegen den Strom schwimmen“, erzählt Jens Cissek. Doch es gebe auch Erfolgserlebnisse, meint Kollegin Sabrina Friedrich: „Wenn es auch nur einmal am Tag bei jemanden Klick macht, dann hat es sich gelohnt.“ Und dieser eine Klick kommt an diesem Morgen in Gestalt einer jungen Frau auf die Polizei-Hauptmeisterin zugerollt – allerdings auf der falschen Fahrbahnseite.
Solche Falschfahrer werden von Cissek und Friedrich ebenfalls angehalten, aber im Normalfall nur belehrt ihr Fahrrad zu schieben oder auf den Radweg der anderen Straßenseite zu wechseln beziehungsweise die Straße zu benutzen. In diesem Fall erklärt Friedrich der Radfahrerin auch, dass Gehwege generell nicht zur Nutzung durch erwachsene Radfahrer freigegeben sind. Eine Regel, die der jungen Frau vorher noch unbekannt war und die sie überrascht aber dankbar aufnimmt.
Zeichen 237: Radweg: Hier müssen Radfahrer fahren und dürfen die Fahrbahn nicht benutzen. Einzige Ausnahme: Wenn der Radweg unbenutzbar ist, etwa, weil verbotenerweise Fahrzeuge darauf stehen oder ein umgekippter Baum dort liegt, dürfen Radfahrer das Hindernis umgehen und kurz auf die Straße ausweichen.
Zeichen 239: Auf einem Gehweg dürfen Radfahrer nur dann unterwegs sein, wenn das Zusatzzeichen „Fahrrad frei“ unter dem Hauptschild angebracht ist. Sie müssen ihn aber nicht nutzen. Wenn sie es tun, müssen sie Rücksicht auf Fußgänger nehmen.
Zeichen 240: Den gemeinsamen Geh- und Radweg müssen Radfahrer und Fußgänger benutzen und dabei Rücksicht aufeinander nehmen.
Zeichen 241: Der getrennte Rad- und Gehweg gibt beiden Verkehrsteilnehmern getrennt voneinander Platz. Diesen Fahrradstreifen müssen Radfahrer nutzen.
Während viele Radfahrer diese Vorschrift kennen, ist sie vor allem bei E-Scooter-Fahrern noch eher unbekannt. Eine Situation um die sich auch Friedrich und Cissek kümmern. Auf mobiler Streife durch die Stadt fällt ihnen am Nachmittag in der Nähe der Hafencity ein E-Scooter-Fahrer auf, der auf der falschen Fahrbahnseite entlangdüst. Zuvor haben die beiden Polizisten ihn dabei beobachtet, wie er bei Rot über eine Kreuzung fuhr. Nun müssen sie stark in die Pedale treten, um ihn zu stoppen. Genau wie bei den Radfahrern werden 60 Euro Bußgeld plus Verwaltungsgebühr fällig und ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen. Dass er sich eigentlich wie ein Radfahrer verhalten muss, ist für den jungen Fahrer eine neue Information.
Verständnis ja, Regeln ignorieren nein
Währenddessen schlüpfen hinter Cissek und Friedrich, die noch die Daten des E-Scooter-Fahrers aufnehmen, mehrere Radfahrer auf der falschen Radwegseite durch. Nicht alle können die beiden Fahrradpolizisten anhalten und für die Einhaltung der Regeln sensibilisieren. Manche reagieren entspannt auf den Hinweis, dass sie auf der falschen Fahrradwegseite nicht fahren dürfen. Sie schieben ihr Rad oder wechseln auf die Fahrbahn. Andere reagieren entnervt und argumentieren mit der schlechten Infrastruktur für Fahrradfahrer: „Hamburg ist total zugebaut“, entgegnet ein älterer Radfahrer den Polizisten, die solche Einwände grundsätzlich verstehen. Sind neue Beschilderungen oder Baustellen irreführend für Radfahrer, versucht die Fahrradstaffel das Problem bei den entsprechenden Stellen anzusprechen. Regeln zu ignorieren, tolerieren die Polizisten jedoch nicht.
Das gilt auch für Auto- oder Lkw-Fahrer. Während Cissek und Friedrich gen Innenstadt auf dem Radweg an wartenden Pkw vorbeirollen, wandert der Blick des Polizei-Oberkommissars immer wieder in das Innere der Fahrzeuge. Wird hier ohne Freisprecheinrichtung telefoniert oder gerade eine SMS getippt? An diesem Nachmittag ertappt Cissek zumindest keinen Autofahrer, der sich im Straßenverkehr ablenken lässt. Dafür gerät ein Transporter-Fahrer in der Hafencity ins Visier. Er parkt auf dem Radweg vor einem Hotel und entschuldigt sich mit einer Lieferung, die er ganz schnell erledigt hätte. Eine Ausrede, die die beiden Polizisten auch nicht gelten lassen. Denn bei viel Verkehr kann auch ein nur für wenige Minuten abgestellter Transporter auf dem Radweg zur Gefahr werden.
So verhalten sich Radfahrer richtig
Ein Fahrradhelm ist zwar gesetzlich nicht vorgeschrieben, kann aber schwere Unfallfolgen mindern und somit nachweislich Leben retten. Für „Pedelecs 45“, die per Motor bis 45 km/h unterstützen und rechtlich nicht mehr als „Fahrräder“ sondern als Kraftfahrzeuge behandelt werden, gelten andere Regeln: z.B. besteht eine Helmpflicht und sie dürfen weder innerorts noch außerorts Radwege benutzen.
Autofahrer und besonders Führer von Güterkraftwagen haben nur einen sehr eingeschränkten Rundumblick. Vor allem beim Abbiegen oder Spurwechsel sollten Radfahrer vermeiden, sich im toten Winkel aufzuhalten. Radfahrer sollten defensiv agieren und fahren erst an Fahrzeugen rechts vorbei, wenn sie – möglichst durch Blickkontakt – sichergestellt haben, dass sie wahrgenommen wurden.
Benutzen Sie den Radweg und fahren Sie in der vorgegebenen Richtung. Autofahrer rechnen selten mit entgegenkommenden Radfahrern auf der falschen Seite. Radweg also nicht entgegen der Fahrtrichtung benutzen. Ausnahme: beschilderter Zweirichtungsradweg.
Bei Dunkelheit und schlechter Sicht helfen Kleidung und Zubehör mit reflektierenden und fluoreszierenden Materialien, um von den motorisierten Verkehrsteilnehmern besser wahrgenommen zu werden. Ebenfalls auf funktionstüchtige Lichtsysteme, also die richtige Beleuchtung, Rückstrahler und Reflektoren achten.
Vorsicht bei parkenden Autos: Es könnte jemand unachtsam die Tür öffnen, um auszusteigen.
An Fußgängerüberwegen und in Fußgängerzonen absteigen.
Wer als Radfahrer die Promillegrenze überschreitet, riskiert seine Fahrerlaubnis.
Einfach den Radweg zugeparkt, mal kurz den Gehweg mit dem Rad befahren oder fix über Rot düsen. Cissek und Friedrich spüren, dass der Verkehr in ihrer Stadt immer hektischer wird, weil manche Verkehrsteilnehmer sich selbst unter Druck setzen, möglichst schnell ans Ziel zu kommen. „Dann werden die Ellenbogen ausgefahren“, sagt die Polizei-Hauptmeisterin. Die Auswirkungen spürt sie mit ihren Kollegen nicht nur direkt auf der Straße, sondern auch durch steigende Beschwerdezahlen von Einwohnern, die sich nicht mehr sicher fühlen und die Polizei kontaktieren. Das führt zu Schwerpunktkontrollen, bei denen die Polizisten versuchen für alle Bürger ansprechbar zu sein.
Sowieso ist die Präsenz vor Ort ein Herzensanliegen der radelnden Polizisten. Immer wieder sind sie auf Fahrradmessen und wichtigen Rad-Events vor Ort. Und natürlich an Hamburger Schulen für Fahrsicherheitskurse – inklusive Reparatur kleinerer Mängel an den Rädern. Denn so lernen schon die Kleinsten, wie man sich im korrekt im Straßenverkehr verhält.
Bilder: Julius Schrank